Drei, zwei, eins ... meins!
(Dank an Noxxlynxx!)
erphschwester - 9. Aug, 19:19
Mit nicht mal zwanzig hatte ich meine erste Wohnung, die eigentlich nicht meine war, sondern die des Mannes, der meiner war und den ich hatte heiraten müssen, um mit einziehen zu können. So wollte es der Vermieter und unsere Eltern auch. Wir wollten das eigentlich nicht, aber wenn das der einzige Weg war, die Wohnung zu kriegen ...
Denn wir wollten weg von zu Hause, beide, und das Kind kam sowieso.
Kurze Zeit später war der Mann weg und die Wohnung gehörte mir und dem Kind. Wir hatten nun einen neuen Freundes- und Bekanntenkreis, der sich glücklich schätzte, jemanden mit einer eigenen Wohnung zu kennen. Da konnte man hingehen, wenn das Herz voll und die Geldbörse leer waren, und immer gab es Tee, den wir literweise tranken, und Leberwurstbrote mit sauren Gurken. Und da bei Tee und Leberwurstbroten zu sitzen und mit dem Kind zu spielen und mit den Großen zu reden, war immer noch besser, als nur mit dem Kind zu spielen, das zwar bald sprechen, mit dem man aber nicht reden konnte.
Manchmal feierten wir Feste, die wir nicht Feste nannten, sondern Feten, und die keinen Anlass brauchten. Bestenfalls den, dass man das Glück gehabt hatte, ein paar Flaschen Wein aus richtigen Trauben für ein Spottgeld aufzutreiben. Da gab es Gulaschsuppe, die ich am Tag zuvor in mehreren großen Töpfen angesetzt hatte. In der drängelten sich die Fleischbrocken nur so. Und jeder, der an solchen Abenden die Wohnung betrat, hob gleich die Nase und beteuerte, wie gut es da rieche.
Zusammen gedrängt in dem zwölf Quadratmeter großen Wohnzimmer saßen wir und kriegten rote Wangen von dem Wein, der so schlecht gar nicht schmeckte, löffelten die Gulaschsuppe und freuten uns über die Wärme des Kachelofens, in dem nun die Kohlen glühten, die die Jungs zuvor aus dem Keller geholt hatten. Wir hörten dem Gesang von E. zu, der seine Gitarre mitgebracht hatte und fanden dessen Faible für mittelalterliche Minnegesänge sehr schön.
Wir sprachen albernes und wichtig sein sollendes Zeugs und manchmal gingen wir in die Küche, rührten die Gulaschsuppe um, ehe sie viel zu schnell alle wurde, redeten weiter albernes und wichtig sein sollenden Zeug und schafften es sogar, eine halbe Stunde lang zu flüstern und zu kichern bis das Kind eingeschlafen war, das dann -einmal eingeschlafen - der Weltuntergang nicht hätte wecken können.
Irgendwann in der Nacht legten wir uns schlafen. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, mitten im Winter und um diese Zeit jemanden weg zu schicken. Wir lagen zu dritt auf der Couch im Wohnzimmer, auf dem Sessel, dem Boden, einer Matratze in der Küche. Überall halt, wo sich ein mannsgroßes Stückchen Platz auftreiben ließ. Wir lachten albern, wenn wir uns beim Rumdrehen berührten oder der Erste zu Schnarchen anfing. Und morgens gab es eine Warteschlange am Klo, das nebenan auf dem Wäscheboden in einem Bretterverschlag war.
Zum Frühstück tranken wir Tee und aßen Brötchen von gestern mit Marmelade drauf. Dazu dröhnte der Plattenspieler in Straßenlautstärke "Baby, du bist wie Dynamit!".
Wir waren ohne Band mit Mischpult und kalt-warmes Büffet auf eine Art glücklich, wie wir es im Leben nur wenige Male noch sein würden. Und wir ahnten noch nichts von R.St., dem zwanzig Jahre später diese Wohnung gehören würde, ehe er schwer bewaffnet in seine Schule ging und diese nicht mehr lebend verließ.
Wir fühlten uns so anders als unsere Eltern oder die anderen "richtig Erwachsenen" und wir meinten, dies müsse der Beginn einer neuen Zeit sein. Denn wir liebten uns alle und würden zweifellos die Probleme der Welt in Angriff nehmen und auch lösen.
Wir waren so alt wie Merkel, Scholz und ein paar andere.
erphschwester - 9. Aug, 10:00
erphschwester - 7. Aug, 22:54
Damals, als ich in solch heissen Sommernächten wie jetzt noch mein Bett auf dem Balkon aufschlug und vorm Einschlafen den Fledermäusen bei ihrem nächtlichen Flug zusah, damals hatte ich nicht das Gefühl, dass der Mond so nah ist.
In Wahrheit kommt er nicht näher, sondern entfernt sich von der Erde. Jedes Jahr ein paar Zentimeter, hörte ich. Und eines Tages wird er sich aus dem Bannkreis der Erde lösen, was vielleicht eine schlimme Sache sei.
Aber noch scheint er heller denn je und lässt vieles andere Licht am Himmel scheinbar verschwinden, nicht alles. Ein paar Teile von einem der Wagen (die ich nie auseinander halten kann) sind noch da.
Der Polarstern auch, den ich noch am sichersten an seiner Helligkeit erkenne. Alles andere liegt in milchiger Verschwommenheit, und ich kann nicht schlafen.
Was sicherlich am zu spät getrunkenen Kaffee liegt und nicht am Mond. Der ja nicht einmal auf der Schlafzimmerseite scheint.
Damals, als ich in solchen Nächten wie heute mein Bett auf dem Balkon aufschlug, habe ich zugesehen, wie die Fledermäuse über die fahle Scheibe des Vollmondes flogen und gedacht, dass es ist wie in diesen Filmen: ein bisschen kitschig, ein bisschen gruselig und reichlich unecht. Und schlief, die Decke vor der zunehmenden Nachtkühle bis zur Nase gezogen, irgendwann einfach ein.
erphschwester - 7. Aug, 00:15
erphschwester - 7. Aug, 12:30
Eine Bekannte erzählte heute von ihrer Großmutter. Die sie sehr geliebt habe. Der hatten sie zum 84. Geburtstag einen Rundflug geschenkt, weil sie noch nie geflogen war. Und irgendwie wolle sie es in diesem Leben doch noch einmal tun. Was könne denn schon dabei sein?
Er habe ihr sehr gefallen, dieser Flug.
Meine Mutter bekam genau solch einen Flug zum Siebzigsten. Was kein Jahr zu früh war, denn sie wurde nur 74. Trotz aller Turbulenzen und nicht ganz so großer Begeisterung stieg sie einige Monate später in ein Passagierflugzeug und flog ichweissnichtwohin. Sie ist in dieser Zeit viel gereist. Es war, als wüsste sie, dass sie nicht mehr viel Zeit haben würde, all jene Orte zu sehen, in die sie während ihrer Kindheit und Jugend so leicht hätte kommen können, wären die Zeiten da nicht so schlecht gewesen.
Irgendwie sind die Zeiten immer schlecht. Auf die eine oder andere Weise. Und wenn sie´s einmal nicht sind, werden wir uns dessen nur allzu oft nicht bewusst. Wir tun so, als hätten wir einen gottverdammten Anspruch auf irgendwas und merken erst später, dass DAS die Zeit war, in der es uns richtig gut ging. Was denn mehr kann man wollen? Im schlimmsten Fall trauern wir der Sache nach und ganz Uneinsichtige wollen DAS wieder haben.
Man kriegt nichts Altes wieder, und alles Trauern hilft nichts.
In einem Blog kommentierte ich heute, wir sollten unseren Kindern wieder das Recht auf den heutigen Tag zurück geben. Das ist nicht von mir, sondern von Korczak, der damals mit "seinen" Kindern ins KZ ging, obwohl er hätte frei kommen können.
Ich finde, jeder (nicht nur Kinder) sollte das Recht auf den heutigen Tag haben; das Recht, trotz aller Zukunftsplanung heute schon zu leben. Wer weiss, wie viele Tage man noch hat?
erphschwester - 6. Aug, 19:19
Warm ist es wie damals am Mittelmeer. Die Luft schien zu stehen und legte sich wie eine Last auf alles. Keine Bewegung von nichts und niemandem. Nur die Zikaden riefen gelegentlich klagend.
Die Zikaden (wenn da welche wären, aber natürlich sind hier keine) könnte ich nicht hören mit dem Kopfhörer auf den Ohren. In ein paar Stunden, ahne ich, werde ich ein weiteres Mal die Nachricht einer Freundin auf dem Anrufbeantworter vorfinden, die sich beklagt, dass ich nie zu erreichen sei. So nah und doch so fern.
Ich stehe vor der Staffelei, zu schlaff, um wie sonst nach den Klängen der Musik zu swingen, während der Pinsel über die Leinwand wedelt. Grundieren aus dem Schultergelenk heraus. Das ist Arbeit, nicht viel anders als Wände streichen. Und wirklich sehe ich, während ich durch den Flur zum PC gehe, um die Leinwand trocknen zu lassen, eine Frau im Muskelshirt, nicht viel anders als die Maler neulich draussen auf dem Gerüst. (Ahja, die waren jünger, muskulöser, brauner und Männer halt; am Ende bleibt als Gemeinsamkeit dann doch nur das Muskelshirt, praktisch, aber nicht straßenfähig für eine Frau meines Alters.)
Hier drin, in meiner Wohnung und in meinem Kopf, kann ich machen, was ich will. Ich lese ein Blog. Nicht meines. Natürlich. Meine kenne ich ja. Und fühle mich angerührt. Es scheint der richtige Moment für eine Weltansicht, die ich zu einer anderen Zeit für allzu melancholisch, allzu sentimental, allzu wasauchimmer abgetan haben würde.
Wieder zurück an der Staffelei swinge ich dann doch ein bisschen. So viel halt, wie es der genaue Pinselstrich der ersten Konturen zulässt. Die Musik im Ohr, das Sentiment des Blogs im Kopf. Und denke mir, dass es nicht wahr ist, was ich früher behauptete: Beim Malen denke ich nicht.
Natürlich denke ich. Der Mensch denkt schließlich immer. Irgendwas, so dumm es auch sei. Die Kunst ist, die guten Dinge zusammen zu führen. Malen, dabei Musik hören und gute Gedanken haben. Mit etwas Glück führt ein guter Input zum guten Output.
Ich denke, dass es keine Zikaden braucht, um glücklich zu sein.
erphschwester - 5. Aug, 19:19
Danke Noxx:

erphschwester - 2. Aug, 22:20
erphschwester - 1. Aug, 15:46
erphschwester - 30. Jul, 22:34
erphschwester - 26. Jul, 14:23