Mittwoch, 9. April 2014

09042014

Ich erinnere mich selbst als ein ziemlich ängstliches Kind. Während meine allesamt älteren Geschwister besonders im sportlichen Bereich (eine von ihnen ging sogar in die Sportschule!) stets sehr gewagte Dinge unternahmen, bewegte ich mich sehr vorsichtig durch die Welt.

So glaubte ich bis heute.

Aber dann las ich Reginas Blog über diesen Orgelspieler und erinnerte mich, wie ich zum ersten Mal ein Orgelkonzert hörte.



Ich war zwölf und hatte begonnen, meine Kreise zu vergrößern. Anders als die Kinder aus der Nachbarschaft, die sich im Hof trafen und dann bestenfalls zur nahe liegenden Gartenanlage, dem Sportplatz oder zum ebenfalls nicht weit entfernten Baggersee gingen, zog es mich in die Stadtmitte. Ich durchstreifte die Altstadt, las alte Hausinschriften, stieg die vielen Stufen bis zum Dom hoch, machte meine erste Domführung mit und fand es alles in allem aufregend, in einer solch geschichtsträchtigen Stadt zu wohnen. Dabei interessierte mich der Geschichtsunterricht in der Schule ganz und gar nicht. Denn all das, was ich dort erfuhr, hatte nichts mit mir zu tun. Diese Stadt aber, in der ich lebte, hatte sehr wohl mit mir zu tun. Ich war ein Teil von ihr und sie irgendwann sehr bald auch einer von mir. Sehr schnell wusste ich, dass sie 42 Kirchen hatte, von denen noch 36 „in Betrieb“ waren. Und sehr bald hatte ich die wichtigsten dieser vielen Kirchen von innen gesehen.

Was insofern an Bedeutung gewann, als wir von Haus aus nicht religiös waren.

(Mit gutem Grund: Mein Vater, als geborener Oberschlesier strenger Katholik, meldete sich nach seiner Ankunft aus der Kriegsgefangenschaft bei dem für ihn zuständigen Pfarrer. Vielleicht erhoffte er sich Hilfe in seiner Heimatlosigkeit? Vielleicht wollte er Anschluss in dieser für ihn fremden Stadt? Als der Pfarrer ihn jedoch auf die Kirchensteuer ansprach, die für die Jahre der Kriegsteilnahme und Kriegsgefangenschaft nachzuentrichten sei, vermisste mein Vater den „christlichen Geist“. Es hatte den Pfarrer nur wenig interessiert, was alles mein Vater in dieser Zeit erlebt hatte; er drang auf die Nachzahlung und mein Vater daraufhin auf den Kirchenaustritt.)



Irgendwann kam ich in eine Kirche, in der der Organist gerade übte. Und ich fragte mich, wie herrlich diese Musik erst klingen müsse, wenn er in allem Ernst spielte. Denn üben heisst ja doch, noch nicht richtig beherrschen, noch mangelhaft sein. Und ich sah, dass am selben Abend ein Konzert stattfinden würde. Sogar kostenlos, was insofern wichtig war, als ich nur fünf Mark Taschengeld im Monat bekam. Den Eintritt für eine solch großartige Musik würde ich keinesfalls bezahlen können. Und nun sollte ich sie umsonst bekommen!

Denn natürlich war klar, dass ich hingehen müsste, koste es (an familiärem Ärger), was es wolle. Denn die einzige Hürde, nachdem es keine finanzielle gab, war die Zeit, zu der das stattfand: Abends um sieben. Ohje! Da hätte eine Zwölfjährige längst zu Hause sein müssen und durfte auch nicht wieder weg gehen. Nicht um diese Zeit.



Also blieb ich in der Stadt, reihte mich zu gegebener Zeit in die wartenden Zuhörer ein, suchte mir einen Platz und staunte darüber, wie viele Menschen sich hier versammelten.

Und dann stürzte diese große Musik über mich herein. Das Programm bewahrte ich noch lange Zeit auf. Bach natürlich, Messiaen, ach, und noch so viele Namen, die ich vorher nie gehört hatte. Die Musik trug meine Gedanken und Gefühle in solche Höhen wie sie anders wohl nicht zu erreichen waren.



Nach einer Stunde war das Konzert zu Ende und die Gefühle von Seligkeit schwanden sehr schnell bei dem Gedanken, was mir wohl zu Hause passieren würde.

DA erwartete mich die Mutter, die wohl zwischen der erlittenen Besorgnis und dem Glück, dass dem Kind nichts passiert war, hin und her schwankte. Als sie den Rest des seligen Glanzes in meinen Augen sah, ich ihr das Programm zum Beweis in die Hand gedrückt und sehr bestimmt gesagt hatte, dass DAS nichts Schlimmes war, im Gegenteil, und dass ich wieder hin gehen würde an jedem Mittwoch, den dieser Orgelsommer zu bieten hatte, war sie überzeugt, dass nichts Schlimmes und Gefährliches gewesen war.



Tatsächlich durfte ich hin gehen, den ganzen Sommer lang

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Meine Bilder kann man kaufen. Meine Texte und meine Meinung nicht. D-J

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