Sonntag, 27. Juni 2010

Von Balkonen, Vögeln, Weckern und allerhand Zeugs

Es gibt keine besseren Zeiten im Jahr als die, in der Drinnen und Draussen verschmelzen. Wenn ich meine drei Balkontüren öffne (was natürlich nicht gleichzeitig geht, weil es sonst höllisch zieht, wenn es nicht gerade draussen so drückend ist, dass man sowieso besser alles zu lässt), dann fallen alle Grenzen weg. Man spürt die Luft, riecht den Geruch von Pflanzen und feuchter Erde oder dass die Nachbarn gerade grillen und man hört sie auch, die Nachbarn, geliebt oder nicht. Da muss man dann halt durch. (Ich habe für diesen Fall meine Kopfhörer parat, die bei Fremden regelmäßig erstaunte Blicke auslösen, ehe man begriffen hat, was denn nun eigentlich diese merkwürdigen Auswüchse da auf den Ohren da sind.)

Es ist die Zeit zum draußen-schlafen, was ich in diesem Jahr, trotz WM-Geschreie, schon mehrfach tat. Derlei Hinderungsgründe halten einen nicht ab, sondern lassen einen eben etwas später schlafen gehen. Irgendwann schließlich ist jeder Sieg, jede Niederlage zwar nicht verschmerzt, aber mindestens einer ruhigeren Ausdrucksform gewichen. Schließlich wäre es auch etwas befremdlich, für einen selbst genauso wie für Aussenstehende, würde da jemand ein Bett auf dem Balkon richten, die Welt also am beinahe-Intimsten teilhaben lassen, was der Mensch so hat. Was früher, da ich eine feine Balkonverkleidung hatte, die quasi einen Zusatzraum schuf, der einem selbst gehört, kein Problem war. Jetzt jedoch haben wir die neue Offenheit, in der mein einziger Schutz die Nacht ist. Und man muss es ja auch nicht übertreiben damit, dass man sein Irresein zur Schau trägt. Dass ich selbst die Sache keineswegs irre finde, ändert am Umstand gar nichts, denn die anderen tun es. Wenngleich ich feststellte, dass manch einer mein Tun beneidet. Mindestens, nachdem ich von einem erholsamen Schlaf an frischer Luft unter freiem Himmel mit Blick auf Mond (der vorgestrige war wundervoll) , Sterne und am Morgen die Schwalben berichtete, während sie sich in überhitzten Zimmern schlaflos wälzten.
Gestern jedoch, obwohl am Tag nicht minder heiß, war mir nicht nach draussen schlafen. Es war irgendwie zu kühl und irgendwie zu dunkel (trotz des diesmal nicht so schönen, dafür aber sehr hellen Mondes). Vielleicht lags am Gruselfilm, den ich zu später Stunde noch gesehen hatte; vielleicht auch gruselte mir vor allerlei Gestalten, die noch zu später Stunde unten vorbei schlichen. Wer weiss. Und wenn die Dinge irgendwie-zu sind, lässt man sie besser bleiben.

Ganz brav also ging ich in mein Schlafzimmer und war stolz auf die Idee, noch schnell einen Blick auf meine Weckergalerie geworfen zu haben. Denn beide waren sie in Warteposition auf „ihrer“ Weckzeit, was ein schönes Desaster gegeben hätte. Weil es ja völlig unnötig und ziemlich dumm ist, sonntags vor der Zeit wach zu werden, nur weil man das Zeugs abzustellen vergaß. Eine kleine Freude bereitete mir der kurze Gedanke, dass sie, also die Wecker, am Morgen aus vollen Rohren den Ozean um Viertel nach fünf und um sechs die Feuerwehrsirene auf mich losgelassen hatten, ohne dass ich dessen Gewahr geworden wäre. Denn auf dem Balkon hört man nichts von der anderen Seite.
Stattdessen war ich Viertel nach sechs aufgestanden, was zwar auch unsinnig blöd ist an einem Samstag, aber wenigstens freiwillig, noch dazu bei ganz echtem Vogelgesang. Denn dieses Programm hat mein Wellness-Wecker( das Ding heißt wirklich so) auch drauf: Vogelgezwitscher in der Nacht, im Regenwald, auch einen Wasserfall usf. Natürlich kann er auch ganz normal wecken, mit einem ganz normalen Weckergeräusch oder mit Radio. Aber, bitte, wenn ich das gewollte hätte, hätte ich ein billigeres Gerät seiner Gattung erwerben können. Nein, ich wollte, ganz nach Tagesstimmung, mich von der Natur wecken lassen. Und der Erfolg gibt mir Recht: Ich wache meistens viel glücklicher auf, wenn der Ozean an mein Ohr brandet. Gewitter und Wasserfälle liegen mir nicht ganz so, sind vermutlich eine Spur zu gewöhnlich, obwohl ich nicht wüsste, wo hier der nächste Wasserfall ist. Und was die Vögel angeht, ob nun die aus der Nacht oder aus dem Regenwald, da gibt es ein Problem: entweder sie sind zu leise, dass man sie ebenso überhört wie draussen die, die einen ja nicht wirklich vom Schlafen abhalten, oder aber, wenn man sie lauter stellt (denn natürlich hat dieser Wunderwecker eine Lautstärkeregelung) kriegen sie etwas Monströses. Wollten Sie von einem Riesenvogel geweckt werden, der praktisch auf Ihrer Bettdecke mit seinem Riesenschnabel lauert, dass Sie endlich wach werden?
Da sind mir die echten dann doch lieber. Man hört sie zwitschern, öffnet die Augen nur einen Spalt, sieht sie irgendwo ferne am wahlweise blitzblauen oder blaugrauen Himmel, und dreht sich noch mal um. Gestern war einer dabei, der fröhlich „Brigitte, Brigitte“ trällerte, was meine Kollegin am Montag sehr wundern wird. Von einem Brigitte-Vogel hatten wir beide noch nichts gehört. Bislang kenne ich von den sprachgewandten nur den „Zippelbart-Vogel“, dessen bürgerlicher Name mir entfallen ist.

Ich stellte also gestern, eigentlich heute (es war schließlich halb drei geworden) meine beiden Wecker aus, kuschelte mich genüsslich in meine Decke, unter der es kein Grad zu warm war (vermutlich fröstelte es mich noch vom vorher gesehen Gruselfilm) und nahm mir Max Goldt zur Hand, der mir zu frühen Stunde seinen Gedanken eröffnete, man solle sich vorstellen, dass all die Kriege, Seuchen und andere Katastrophen, die es in der Menschheitsgeschichte gab, uns nicht heimgesucht hätten. (Nicht, dass dieser Gedanke so vollkommen neu ist. Vielmehr vermute ich, jeder denkende Mensch hat ihn schon einmal gehabt mit übrigens dem gleichen Resultat.) Goldt stellt sich vor, es gäbe dann zu viele Auto fahrende Menschen, die zu viel Luft und Wasser verbrauchen und unseren Planeten zu einer einzigen Ödnis gemacht hätten. Selbst wenn ich in Betracht ziehe, dass dieser Text so ungefähr zwanzig Jahre alt ist, gehe ich davon aus, dass Goldt sich mit dem Konjunktiv vertan hat. Vielmehr gibt es schon heute zu viele … naja, Sie wissen schon.
Amüsanter fand ich die Vorstellung, dass Goldt in seiner Kindheit ein richtig kriminelles Früchtchen gewesen ist, dabei aber klug genug, mit Eintritt der Strafmündigkeit solcherlei Tun zu beenden. Weshalb er eine blitzblanke Akte hatte und zum Schöffen berufen wurde.

Das, fand ich, ist ein tröstlicher Gedanke: Man kann so ziemlich alles tun, was man will, solange man nur zur rechten Zeit damit aufhört.

;)

Nr.246

40600002

Motto:

Meine Bilder kann man kaufen. Meine Texte und meine Meinung nicht. D-J

Zufallsbild

40600084

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

20022015
hätte, hätte, fahrradkette kann schon sein, nein!,...
erphschwester - 20. Feb, 00:32
puhh!
nochma glück gehabt.
erphschwester - 15. Feb, 11:19
Das
war nicht auf Ihre Kartoffeln bezogen. Das war eine...
pathologe - 15. Feb, 11:11
womit sie jetzt ...
... hoffentlich nicht sagen wollen, dass ich nicht...
erphschwester - 15. Feb, 09:55
Ich
fürchte: ja. (Gilt ja allgemein auch für die Dummheit....
pathologe - 15. Feb, 09:27
Meine Bilder kann man kaufen. Die Texte und meine Meinung nicht. D-J

Suche

 

Status

Online seit 6485 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 20. Feb, 00:32

Credits

kostenloser Counter


Geschichten aus dem Drinnen
Geschichten aus dem Lande und der Welt
vollkommen sinnfrei
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren