Freitag, 18. Dezember 2009

Mein Jahr mit mir

Es ist die Zeit der Jahresrückblicke, unter denen sich jeder den raussucht, den er mag. Ich mag keine und bin deswegen nahezu zwangsläufig gelandet bei dem von Max Goldt (diese Woche Beilage der ZEIT), der meine Abneigung teilt und deswegen ganz eigen mit dem Thema umgeht. Weit davon entfernt, hier irgendwas von Max Goldts Jahr mit sich zitieren zu wollen (nur so viel: ich sitze nicht sonderlich oft lachend auf dem Klo; irgendwie sollte man den Dingen ja den nötigen Ernst zukommen lassen), fühle ich mich ermutigt, auf mein eigenes Jahr zurück zu blicken.

Irgendwo bei Nr.13 und Frau Steeger (die keiner ausser mir assoziierte) fing es an. Noch sehr simpel, wie ich heute sehe. (Damals fand ich mich toll. Ich hatte gerade Licht und Schatten entdeckt und wunderte mich, dass nicht alle anderen diese meine glückliche Erkenntnis teilten. Während ich also Grau- und Weisstöne mischte, schrien sie immerfort nach etwas Rotem.)

Bei jenseits der Nr.20 malte ich in Acryl und auch mehr oder weniger schön rot. (Nein, nein, in Wahrheit entstand in dieser Zeit eines meiner schönsten Bilder, auch mit Rot, aber jedenfalls schön stimmungsvoll.) Wie im Nebensatz stellte ich fest, dass ich jetzt und für lange Zeit lieber malen als schreiben wollte. Ich hatte auf dieser Schreibplattform einige wenige Gutschreiber gesehen, viele schlechte, manchen Möchtegern und Wichtigtuer und fand das Gerangel um Sternchen und wohlmeinende Kommentare zunehmend albern. (Erst dieser Tage schaute ich wieder dort vorbei und fragte mich, warum so viele sich nicht dabei langweilen, das Gleiche Jahr um Jahr zu wiederholen.)

Zwischen Nr.20 und 30 gabs einige Interessenten für meine KUNST (dass eines hiervon als Anhängsel eines größeren Formats erst Monate später und mehr aus Zufall entdeckt wurde, schreibe ich nicht nur als Kuriosum, sondern auch Beweis, dass man vielleicht doch noch unbekannte Werke großer Künstler finden könnte.), jenseits der Nr. 30 die ersten Verkäufe und auch erste Anflüge von Größenwahn. Ich hörte, nur wer ausstellt, könne einen gewissen Grad an Bekanntheit erlangen, was für den Verkauf der Werke unerlässlich sei. Und irgendwann kommt man nicht umhin zu verkaufen, will man nicht in dem Zeugs ersticken. Dank einer gewissen Selbstüberschätzung fing ich an, mit Leuten übermeine Bilder zu reden und erfuhr, wo man am Besten und Einträglichsten ausstellt.

Die bildende Kunst, so viel sei hier mal festgestellt, ist ein träges Konstrukt. Man braucht Jahre, um irgendwo hin zu kommen. Nicht nur wegen der Notwendigkeit der eigenen Entwicklung (bis dahin malt und malt und malt man, verwirft dies und das, übermalt, hat seltene Gefühle von Glück, die man Monate später womöglich nicht mehr versteht, weil man es so heute nicht mehr machen würde, und spricht viel zu wenig mit den Leuten, die man notwendig brauchen würde, um auch den größten Schrott "an den Mann zu bringen"), sondern auch, weil alle geeigneten Räumlichkeiten zumeist auf lange Zeit hin ausgebucht sind.

Ich hatte rote und blaue Phasen und die Erkenntnis, dass diese Resultat einer gewissen (notwendigen) Sparsamkeit sind: Ist die Farbe einmal auf der Palette, will sie auch aufgebraucht werden und soll nicht sinnlos vertrocknen. Ich schätze, dass ging den alten Meistern nicht anders, weshalb man im Nachhinein den Kult um diese "Phasen" vielleicht nicht übertreiben soll. Übrigens kann so eine Phase ewig dauern, da man ja mit den Restern nie ein ganzes Bild fertig kriegt und deshalb wieder neu auflegen muss, was zwangsläufig neue Rester nach sich zieht. Ich schätze, van Gogh hatte dieses Problem eine Zeit lang mit Gelb und auch mit Blau.

Übrigens malte ich den ersten van Gogh irgendwo bei Nr.40, verzichtete dabei absichtlich auf das leidige fahle Gelb und verwendete stattdessen ... viel Rot. Ich erkannte, dass van Gogh ein fleissiger Mann war und mein Stil, falls ich denn jemals einen eigenen haben würde, sehr anders.

Obschon sehr fleissig, entdeckte ich zuweilen auch Züge von Ungeduld an mir. Das war die Zeit der abstrakten Bilder, die mich lehrte, dass abstrakt immer (zumindest, was mich angeht) ein Resultat eines gewissen Nichtkönnens ist. Wenn man eine Vorstellung hat und dabei an den Rand seiner Fähigkeiten stösst, kann es leicht passieren, dass der Pinsel oder Spachtel oder was man gerade in der Hand hält, unkoordiniert über die Leinwand fährt. Im günstigsten Falle kann man hernach konstatieren, dass das Ergebnis gar nicht so schlecht aussieht.

Jenseits der Nr.40 entdeckte ich nackte Körper und wie man ein Arschgrübchen malt und später vorn und hinten (was nichts mehr mit den Nackten zu tun hatte, die ich auch heute noch nicht als mein Metier betrachte). Perspektiven wurden interessant und das Thema Licht und Schatten neu aufgelegt. Bilder, in denen beides zusammen auftritt, betrachte ich auch heute noch als die größte Herausforderung und Kunst. Erst wenn eine flache Leinwand Raumtiefe kriegt, ist etwas ein Bild, denke ich.

Bevor ich sommerlich in Folie verpackt wurde (das Haus war eingerüstet bis zum Herbst, was wir aber damals noch nicht wussten), malte ich noch einen van Gogh, diesmal tatsächlich gelb, lernte noch mehr über Schatten und nahm an, das dies der letzte dieser Art sein würde. Ich wagte mich an Gesichter, versetzte Augen in Glanz, lernte die Wirkung vieler schwarzer und weisser Stricke kennen, erholte mich bei weiteren Nackten, warf ein Getreidefeld als Geschenk zum Hochzeitstag hinterher (kein van Gogh, obwohl es einer hätte sein können; die vielen zarten Striche gingen mir inzwischen sehr viel leichter von der Hand, auch wenn ich sie weniger als Kunst, denn als Fleissarbeit verstand).

Ich entdeckte erst die neue amerikanische Schule, dann die neuen Leipziger und lernte, dass es eine Kunst sein kann, einfach eine Wand zu malen. Ich kann es bis heute nicht, arbeite jedoch immer wieder einmal dran. Zumindest begriff ich, dass Licht weiss ist und Wellenkämme auch, dass Ungenauigkeit zuweilen mehr Aussagekraft besitzt als das Genaue und dass man für einen wirklichen Eindruck ein paar Meter von der Leinwand weg gehen muss. (Seither betrachte ich meine Bilder regelmässig vom Balkon aus.)

Jenseits der Nr.100 wurde mir klar, dass man sich entscheiden muss, ob man gefällig oder aber anspruchsvoll malen will. Nicht alles, was gefällt, ist auch gut. Nicht alles, was technisch gut ist, würden sich auch Leute an die Wand hängen. Und jenseits der Nr.120 habe ich gelernt, dass Bilder verschenken nur dann Sinn macht, wenn vorher Gefallen erklärt wurde. Unsere Vorstellung von Bildern und davon, wie sie zu Menschen passen, decken sich häufig nicht mit ihren eigenen.

Um die gleiche Zeit bin ich in einem Kunstforum gelandet, wo wieder das Spiel mit den Sternchen und Gefälligkeits-Lobhudeleien begann. Dort lernte ich, dass Kunst weder anspruchsvoll, noch schön sein muss, dafür aber provokant. Zum Glück gibt es aber doch noch ein paar, die auch einfach nur gut malen, so wie ich es verstehe.

Ich versuchte mich im Aquarellmalen und scheitere noch immer an Gesichtern, auch wenn Modigliani mir bewies, dass sie nicht schwer sein müssen und sogar Ausdruck haben können, wenn man einen Fineliner benutzt.

Das neue Jahr wird beginnen, nehme ich an, wie das alte endete: Mit einem Bild, diesmal vermutlich Acryl. Ich werde weiter lernen und irgendwann auch in der Kunstszene ankommen, meinen Stil und meinen Platz finden. Sag ich jetzt mal ganz kühn.

Motto:

Meine Bilder kann man kaufen. Meine Texte und meine Meinung nicht. D-J

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