Heiligabend am Morgen
Munter geworden durch den langhaarigen Nachbarn, der sich wacker ins Einkaufsgetümmel geschmissen hat, wie auch ich es tun sollte, um noch eine Restzutat für die Füllung der Weihnachtsgans zu erstehen. Tagelang hat man den Halbgaren Einkaufen geschickt, um hernach vielleicht doch noch dies oder jenes haben zu wollen. Die Nation verhungert wieder einmal, wahrscheinlich, und das Chaos in der Stadt verspricht perfekt zu werden.
Ja, wir starten groß, mit der Gans, obwohl es doch heißt, daß beinahe ganz Deutschland am Heiligen Abend sich mit Kartoffelsalat und Würstchen begnügt. Es sei so traditionell, sagen sie, daß sie sogar für "unsere Jungs in Afghanistan" Tausende von Würsten (genau: Bockwürsten) geordert haben und wahrscheinlich Tonnen von Kartoffelsalat. Damit sie sich ein bißchen wie zu Hause, ein bißchen wie Weihnachten fühlen können.
Ich kann mich nicht erinnern, zu Hause am Heiligabend je Kartoffelsalat gegessen zu haben. Salat gab´s zu Silvester, so viel steht fest, da aber mit Heringen. Und überhaupt gab´s zu Weihnachten Geschenke, in der Hauptsache Bücher, mit denen man sich nach der Bescherung verkroch. In dieser anderen Welt, in der man als Kind allsogleich verschwand, brauchte es nicht Würstchen und nicht Salat oder was auch immer. Man war schon glücklich, und den Hunger stillte man irgendwann, wenn er zu dringlich sich meldete. Am liebsten mit etwas, das man beim Weiterlesen in der Hand halten konnte.
Da steht sie also,die Gans, draußen in der Küche, und taut seit gestern Abend still vor sich hin. Erinnert einen an jene andere, damals, die noch in trauter Großfamilien-Idylle bereitet worden war und so viel Beifuß enthielt, daß keiner so recht an das Viech ran wollte. Schade ums Fleisch, daß irgendwie bitter durchzogen war von dem, wonach eine Gans angeblich schmecken soll. Wir hatten danach nie wieder eine. Erst wegen dieser dummen Geschmacks-Erinnerung, dann weil es sich nicht lohnte, für nur zwei Leute eine Gans zu machen.
Es lohnt sich immer, denken wir heute. Sind also ein Stück weiter gekommen. Wir werden fressen bis uns die Gans aus den Ohren quillt. Wer weiß, was morgen, nächste Woche oder nächstes Weihnachten ist? Was ich mir heute einverleibe, kann mir morgen keiner mehr weg nehmen. Und sie nehmen einem dieser Tage allerhand weg. Immer ein bißchen mehr. Beinahe unmerklich, aber doch so, daß man sich hin und wieder schmerzlich erinnert, was früher alles ging und heute nicht mehr. Stattdessen überschütten sie uns heute bereits vor dem Aufstehen mit all den unsäglichen Weihnachtsfilmen, die unabdingbar sind. Gar nicht zu reden von dem Bericht aus der Lebkuchenfabrik, die inzwischen längst ihre Maschine auf Österliches umgestellt hat. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Und wer zu spät Lebkuchen kaufen will, kriegt nur noch die ollen Dinger aus dem September.
Sowieso ist ja blöd, wer sich nicht bereits jetzt an den Dingern überfressen hat. Man kauft die Sachen, wenn man sie kriegt und nicht, wenn sie üblicherweise zu kaufen wären. Badeanzüge im Winter und Pelzjacken im Sommer. Und es ist wie mit der Gans: Wir wollen alles, und zwar gleich und aus gutem Grund. Morgen oder nächste Woche gibt´s das vielleicht nicht mehr, nicht so toll und günstig, nicht für unsereinen. Warum also warten?
Warten auf´s Christkind (an das wir Atheisten ja sowieso nicht glaubten; wir wußten immer, daß die Geschenke von den Eltern kamen und nicht von irgendwelchen weiß oder rot bewandeten Zauberwesen) begann früher am 24. um vier Uhr nachmittags. Da begann die heiße Phase. Inzwischen hat sich das Vorwarten schon auf eine Woche verlängert, wie man am Weihnachtsprogramm erkennen kann.
Wenn wir an Weihnachten denken und all die guten Gefühle, die wir dabei haben sollten, denken wir nicht nach über die anderen Sachen, die klammheimlich noch kurz vor Jahresende mit uns gemacht werden. Allenfalls den Lokführern gilt unser Dank: Sie lassen uns bis zu den Heiligen Drei Königen in Ruhe, immerhin. Cindy aus Marzahn stellen wir ab; schlimmstenfalls erinnert sie uns an uns selber. Dafür brauchen wir keinen Fernsehen. Und im andern Fall wollen wir gar nicht drüber nachdenken, daß nicht jeder sich pinkfarbene Klamotten anziehen kann, um der Drohung von HartzIV im Nacken zu entkommen.
Die Gans also. Traditionell sollen Äpfel rein und Beifuß, den - man erinnert sich - wir seit damals für ein Leben lang nicht mögen. Also kein Beifuß, was der Gans keinen Abbruch tut. Aus allzu vielen Kochsendungen (Essen geht immer, wenn auch sonst nichts mehr geht) wissen wir, wie eine Gans auch ohne Beifuß schmecken kann. Den Rotkohl hat man und auch die Kloßmasse. (Kam doch der Halbgare nicht auf die Idee, die Klöße aus den sündteuren Kartoffeln selbst machen zu wollen, weil es irgendwie "echter" ist! Aber wer macht das heute noch? Der große Bruder, seinerzeit, verbrachte ganze Sonntag-Vormittage mit dem Reiben von Kartoffeln und nahm daraus manche Finger-Blessur mit. Die Reibe hatte der Werkzeugmacher-Vater selbst gemacht. Schön scharf! Naja, damals kaufte man die Kartoffeln auch noch zentnerweise und kellerte sie ein. Vermutlich kostete damals ein Zentner so viel wie heute das Kilo. Aus diesem und ähnlichen Gründen ist die DDR ja eingegangen, sagen sie heute gern.)
Also kein Weihnachtsgetümmel. Genervt käme man wieder und würde Tage brauchen, sich davon zu erholen. So tun, als wären die Geschäfte geschlossen. (Was übrigens vernünftiger wäre, ginge es nicht um den "besten Umsatz des Jahres".) Rien ne va plus! Wer jetzt nicht alles hat, wird´s niemals haben. Und sowieso sieht man nur mit dem Herzen gut.
Auch wenn der Schwiegervater (er ist es noch, auch wenn der Mann nun der "Ex" ist.) gestern Abend erstaunt sich gab, weil wir hier und seit Jahren schon die geschenkfreie Zone erklärt haben. Wir sind schon groß und selbst der Sohn glaubt nach der Aufklärung durch die große Schwester schon etliche Zeit nicht mehr an das Christkind, das gerade eben um die Ecke verschwinden gesehen zu haben wir Eltern über Jahre hin behaupteten. Natürlich, gibt der Schwiegervater zu, sei die Sache mit dem Konsum der reine Terror, aber eine Kleinigkeit. Mit welcher Art Kleinigkeiten jedoch sind wir zufrieden heute? Sterne basteln wie früher? Aber wofür? Da sind weder Baum, noch Zweig, an die man sie hängen könnten. Irgendwann, und zwar sehr bald, zerknüllt man diese mit Herzschmerz und Wutausbrüchen gefalteten Gold- und Silberdinger und läßt sie heimlich im Müll versinken. Ballast, den man (käme man auf die Idee, ihn "für den Fall des Falles" aufzuheben) im Bedarfsfall eh nicht wieder findet unter all dem anderen Tand, den man dummerweise schon hortet. Es gibt keinen Platz mehr für Weihnachts- und Ostersachen. Weil da inzwischen etliche neue "Jahreszeiten" dazu gekommen sind, die wir mit ebensolchem Konsum befeuern sollen. Frühlings- und Herbstgarnitur für´s Zimmer. Fasching und Halloween. Wir stürzen uns von einem Höhepunkt des Jahres in den nächsten und haben doch keine Hochgefühle mehr. (Naja, vielleicht noch die Männer, wenn sie beim Kinderkriegen zuschauen dürfen. Kinder, mit denen man dann nicht fertig wird, weil man´s sich irgendwie "netter" vorgestellt hatte. Dann vielleicht doch besser Bungee-Jumping? Wenn das keinen Spaß macht, schmeißt man die voll geschissene Hose weg und versucht zu vergessen.)
Und jetzt, sieh da!, hat sich das Ostkind selbst entlarvt. Weihnachten fängt an, und beinahe hätte ich´s verpaßt, mit "Spuk unterm Riesenrad". Alle Jahre wieder. In jeder Oma schlummert ein Kind. Zum Glück!
Ja, wir starten groß, mit der Gans, obwohl es doch heißt, daß beinahe ganz Deutschland am Heiligen Abend sich mit Kartoffelsalat und Würstchen begnügt. Es sei so traditionell, sagen sie, daß sie sogar für "unsere Jungs in Afghanistan" Tausende von Würsten (genau: Bockwürsten) geordert haben und wahrscheinlich Tonnen von Kartoffelsalat. Damit sie sich ein bißchen wie zu Hause, ein bißchen wie Weihnachten fühlen können.
Ich kann mich nicht erinnern, zu Hause am Heiligabend je Kartoffelsalat gegessen zu haben. Salat gab´s zu Silvester, so viel steht fest, da aber mit Heringen. Und überhaupt gab´s zu Weihnachten Geschenke, in der Hauptsache Bücher, mit denen man sich nach der Bescherung verkroch. In dieser anderen Welt, in der man als Kind allsogleich verschwand, brauchte es nicht Würstchen und nicht Salat oder was auch immer. Man war schon glücklich, und den Hunger stillte man irgendwann, wenn er zu dringlich sich meldete. Am liebsten mit etwas, das man beim Weiterlesen in der Hand halten konnte.
Da steht sie also,die Gans, draußen in der Küche, und taut seit gestern Abend still vor sich hin. Erinnert einen an jene andere, damals, die noch in trauter Großfamilien-Idylle bereitet worden war und so viel Beifuß enthielt, daß keiner so recht an das Viech ran wollte. Schade ums Fleisch, daß irgendwie bitter durchzogen war von dem, wonach eine Gans angeblich schmecken soll. Wir hatten danach nie wieder eine. Erst wegen dieser dummen Geschmacks-Erinnerung, dann weil es sich nicht lohnte, für nur zwei Leute eine Gans zu machen.
Es lohnt sich immer, denken wir heute. Sind also ein Stück weiter gekommen. Wir werden fressen bis uns die Gans aus den Ohren quillt. Wer weiß, was morgen, nächste Woche oder nächstes Weihnachten ist? Was ich mir heute einverleibe, kann mir morgen keiner mehr weg nehmen. Und sie nehmen einem dieser Tage allerhand weg. Immer ein bißchen mehr. Beinahe unmerklich, aber doch so, daß man sich hin und wieder schmerzlich erinnert, was früher alles ging und heute nicht mehr. Stattdessen überschütten sie uns heute bereits vor dem Aufstehen mit all den unsäglichen Weihnachtsfilmen, die unabdingbar sind. Gar nicht zu reden von dem Bericht aus der Lebkuchenfabrik, die inzwischen längst ihre Maschine auf Österliches umgestellt hat. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Und wer zu spät Lebkuchen kaufen will, kriegt nur noch die ollen Dinger aus dem September.
Sowieso ist ja blöd, wer sich nicht bereits jetzt an den Dingern überfressen hat. Man kauft die Sachen, wenn man sie kriegt und nicht, wenn sie üblicherweise zu kaufen wären. Badeanzüge im Winter und Pelzjacken im Sommer. Und es ist wie mit der Gans: Wir wollen alles, und zwar gleich und aus gutem Grund. Morgen oder nächste Woche gibt´s das vielleicht nicht mehr, nicht so toll und günstig, nicht für unsereinen. Warum also warten?
Warten auf´s Christkind (an das wir Atheisten ja sowieso nicht glaubten; wir wußten immer, daß die Geschenke von den Eltern kamen und nicht von irgendwelchen weiß oder rot bewandeten Zauberwesen) begann früher am 24. um vier Uhr nachmittags. Da begann die heiße Phase. Inzwischen hat sich das Vorwarten schon auf eine Woche verlängert, wie man am Weihnachtsprogramm erkennen kann.
Wenn wir an Weihnachten denken und all die guten Gefühle, die wir dabei haben sollten, denken wir nicht nach über die anderen Sachen, die klammheimlich noch kurz vor Jahresende mit uns gemacht werden. Allenfalls den Lokführern gilt unser Dank: Sie lassen uns bis zu den Heiligen Drei Königen in Ruhe, immerhin. Cindy aus Marzahn stellen wir ab; schlimmstenfalls erinnert sie uns an uns selber. Dafür brauchen wir keinen Fernsehen. Und im andern Fall wollen wir gar nicht drüber nachdenken, daß nicht jeder sich pinkfarbene Klamotten anziehen kann, um der Drohung von HartzIV im Nacken zu entkommen.
Die Gans also. Traditionell sollen Äpfel rein und Beifuß, den - man erinnert sich - wir seit damals für ein Leben lang nicht mögen. Also kein Beifuß, was der Gans keinen Abbruch tut. Aus allzu vielen Kochsendungen (Essen geht immer, wenn auch sonst nichts mehr geht) wissen wir, wie eine Gans auch ohne Beifuß schmecken kann. Den Rotkohl hat man und auch die Kloßmasse. (Kam doch der Halbgare nicht auf die Idee, die Klöße aus den sündteuren Kartoffeln selbst machen zu wollen, weil es irgendwie "echter" ist! Aber wer macht das heute noch? Der große Bruder, seinerzeit, verbrachte ganze Sonntag-Vormittage mit dem Reiben von Kartoffeln und nahm daraus manche Finger-Blessur mit. Die Reibe hatte der Werkzeugmacher-Vater selbst gemacht. Schön scharf! Naja, damals kaufte man die Kartoffeln auch noch zentnerweise und kellerte sie ein. Vermutlich kostete damals ein Zentner so viel wie heute das Kilo. Aus diesem und ähnlichen Gründen ist die DDR ja eingegangen, sagen sie heute gern.)
Also kein Weihnachtsgetümmel. Genervt käme man wieder und würde Tage brauchen, sich davon zu erholen. So tun, als wären die Geschäfte geschlossen. (Was übrigens vernünftiger wäre, ginge es nicht um den "besten Umsatz des Jahres".) Rien ne va plus! Wer jetzt nicht alles hat, wird´s niemals haben. Und sowieso sieht man nur mit dem Herzen gut.
Auch wenn der Schwiegervater (er ist es noch, auch wenn der Mann nun der "Ex" ist.) gestern Abend erstaunt sich gab, weil wir hier und seit Jahren schon die geschenkfreie Zone erklärt haben. Wir sind schon groß und selbst der Sohn glaubt nach der Aufklärung durch die große Schwester schon etliche Zeit nicht mehr an das Christkind, das gerade eben um die Ecke verschwinden gesehen zu haben wir Eltern über Jahre hin behaupteten. Natürlich, gibt der Schwiegervater zu, sei die Sache mit dem Konsum der reine Terror, aber eine Kleinigkeit. Mit welcher Art Kleinigkeiten jedoch sind wir zufrieden heute? Sterne basteln wie früher? Aber wofür? Da sind weder Baum, noch Zweig, an die man sie hängen könnten. Irgendwann, und zwar sehr bald, zerknüllt man diese mit Herzschmerz und Wutausbrüchen gefalteten Gold- und Silberdinger und läßt sie heimlich im Müll versinken. Ballast, den man (käme man auf die Idee, ihn "für den Fall des Falles" aufzuheben) im Bedarfsfall eh nicht wieder findet unter all dem anderen Tand, den man dummerweise schon hortet. Es gibt keinen Platz mehr für Weihnachts- und Ostersachen. Weil da inzwischen etliche neue "Jahreszeiten" dazu gekommen sind, die wir mit ebensolchem Konsum befeuern sollen. Frühlings- und Herbstgarnitur für´s Zimmer. Fasching und Halloween. Wir stürzen uns von einem Höhepunkt des Jahres in den nächsten und haben doch keine Hochgefühle mehr. (Naja, vielleicht noch die Männer, wenn sie beim Kinderkriegen zuschauen dürfen. Kinder, mit denen man dann nicht fertig wird, weil man´s sich irgendwie "netter" vorgestellt hatte. Dann vielleicht doch besser Bungee-Jumping? Wenn das keinen Spaß macht, schmeißt man die voll geschissene Hose weg und versucht zu vergessen.)
Und jetzt, sieh da!, hat sich das Ostkind selbst entlarvt. Weihnachten fängt an, und beinahe hätte ich´s verpaßt, mit "Spuk unterm Riesenrad". Alle Jahre wieder. In jeder Oma schlummert ein Kind. Zum Glück!
erphschwester - 24. Dez, 10:26