Mittwoch, 30. April 2014

30042014

tag x vor einem langen wochenende und die frage: ist die woche immer so anstrengend wie sie lang ist? also auch, wenn sie kurz ist?
so oder so: ich, die ihren job durchaus mag, weil menschen eine tolle sache sind, vielfältig, meistens nett und nie langweilig, ich liege am boden und finde sie an diesem einen tag einfach nur anstrengend. und der tag ist noch lange nicht zu ende. noch einmal so lange muss ich (und will es ja auch) jedem begegnen, als wäre er der erste.

sonne ist nicht da, aber luft. und wenigstens regnet es nicht. fünf minuten nur tief durchatmen. dann ist wieder alles gut und frisch und neu.

ich schaue in das grau da oben, das nicht einmal für betrachtungen über tolle wolkenformationen gut ist. und in einer rotphase der ampel, als ruhe einkehrt, höre ich ihn: meinen mittwochsfreund. diesen gesichtslosen, gleichwohl ausdrucksstarken tönemaler aus der musikschule. saxophonist jenseits der anfängerriege, der in all diesem grau bilder in meinen kopf malt. nächtliche szenen in rauchigen jazzkneipen, irgendwann vor ein paar jahrzehnten. das bunte publikum sitzt, raucht, trinkt, lauscht intensiv, swingt so ein bisschen mit (aber nicht zu sehr).
EASY GOING.

und dann sehe ich tom hanks, wie er sich jeden tag ein bisschen mehr im TERMINAL einrichtet, wo man ihn nicht heraus lässt, weil bei ihm zu hause gerade chaos und er ein niemand ist. geduldig wartet er. weil er dieses eine autogramm noch braucht. und er kriegt es . ohne mehr von dieser wahnsinns-stadt gesehen zu haben als man eben vom taxi aus sehen kann. auch die frau kriegt er nicht. (aber irgendwie war das klar!)

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fünf minuten draussen unter grauem himmel, allein mit dem saxophonisten.

ich wüsste schon gern, wie er aussieht.

Mittwoch, 9. April 2014

09042014

Ich erinnere mich selbst als ein ziemlich ängstliches Kind. Während meine allesamt älteren Geschwister besonders im sportlichen Bereich (eine von ihnen ging sogar in die Sportschule!) stets sehr gewagte Dinge unternahmen, bewegte ich mich sehr vorsichtig durch die Welt.

So glaubte ich bis heute.

Aber dann las ich Reginas Blog über diesen Orgelspieler und erinnerte mich, wie ich zum ersten Mal ein Orgelkonzert hörte.



Ich war zwölf und hatte begonnen, meine Kreise zu vergrößern. Anders als die Kinder aus der Nachbarschaft, die sich im Hof trafen und dann bestenfalls zur nahe liegenden Gartenanlage, dem Sportplatz oder zum ebenfalls nicht weit entfernten Baggersee gingen, zog es mich in die Stadtmitte. Ich durchstreifte die Altstadt, las alte Hausinschriften, stieg die vielen Stufen bis zum Dom hoch, machte meine erste Domführung mit und fand es alles in allem aufregend, in einer solch geschichtsträchtigen Stadt zu wohnen. Dabei interessierte mich der Geschichtsunterricht in der Schule ganz und gar nicht. Denn all das, was ich dort erfuhr, hatte nichts mit mir zu tun. Diese Stadt aber, in der ich lebte, hatte sehr wohl mit mir zu tun. Ich war ein Teil von ihr und sie irgendwann sehr bald auch einer von mir. Sehr schnell wusste ich, dass sie 42 Kirchen hatte, von denen noch 36 „in Betrieb“ waren. Und sehr bald hatte ich die wichtigsten dieser vielen Kirchen von innen gesehen.

Was insofern an Bedeutung gewann, als wir von Haus aus nicht religiös waren.

(Mit gutem Grund: Mein Vater, als geborener Oberschlesier strenger Katholik, meldete sich nach seiner Ankunft aus der Kriegsgefangenschaft bei dem für ihn zuständigen Pfarrer. Vielleicht erhoffte er sich Hilfe in seiner Heimatlosigkeit? Vielleicht wollte er Anschluss in dieser für ihn fremden Stadt? Als der Pfarrer ihn jedoch auf die Kirchensteuer ansprach, die für die Jahre der Kriegsteilnahme und Kriegsgefangenschaft nachzuentrichten sei, vermisste mein Vater den „christlichen Geist“. Es hatte den Pfarrer nur wenig interessiert, was alles mein Vater in dieser Zeit erlebt hatte; er drang auf die Nachzahlung und mein Vater daraufhin auf den Kirchenaustritt.)



Irgendwann kam ich in eine Kirche, in der der Organist gerade übte. Und ich fragte mich, wie herrlich diese Musik erst klingen müsse, wenn er in allem Ernst spielte. Denn üben heisst ja doch, noch nicht richtig beherrschen, noch mangelhaft sein. Und ich sah, dass am selben Abend ein Konzert stattfinden würde. Sogar kostenlos, was insofern wichtig war, als ich nur fünf Mark Taschengeld im Monat bekam. Den Eintritt für eine solch großartige Musik würde ich keinesfalls bezahlen können. Und nun sollte ich sie umsonst bekommen!

Denn natürlich war klar, dass ich hingehen müsste, koste es (an familiärem Ärger), was es wolle. Denn die einzige Hürde, nachdem es keine finanzielle gab, war die Zeit, zu der das stattfand: Abends um sieben. Ohje! Da hätte eine Zwölfjährige längst zu Hause sein müssen und durfte auch nicht wieder weg gehen. Nicht um diese Zeit.



Also blieb ich in der Stadt, reihte mich zu gegebener Zeit in die wartenden Zuhörer ein, suchte mir einen Platz und staunte darüber, wie viele Menschen sich hier versammelten.

Und dann stürzte diese große Musik über mich herein. Das Programm bewahrte ich noch lange Zeit auf. Bach natürlich, Messiaen, ach, und noch so viele Namen, die ich vorher nie gehört hatte. Die Musik trug meine Gedanken und Gefühle in solche Höhen wie sie anders wohl nicht zu erreichen waren.



Nach einer Stunde war das Konzert zu Ende und die Gefühle von Seligkeit schwanden sehr schnell bei dem Gedanken, was mir wohl zu Hause passieren würde.

DA erwartete mich die Mutter, die wohl zwischen der erlittenen Besorgnis und dem Glück, dass dem Kind nichts passiert war, hin und her schwankte. Als sie den Rest des seligen Glanzes in meinen Augen sah, ich ihr das Programm zum Beweis in die Hand gedrückt und sehr bestimmt gesagt hatte, dass DAS nichts Schlimmes war, im Gegenteil, und dass ich wieder hin gehen würde an jedem Mittwoch, den dieser Orgelsommer zu bieten hatte, war sie überzeugt, dass nichts Schlimmes und Gefährliches gewesen war.



Tatsächlich durfte ich hin gehen, den ganzen Sommer lang

Mittwoch, 26. März 2014

...

"aber er ist doch mein bester freund ...", hast du, das gesicht verschwollen, die augen noch rot von den tränen der letzten tage, vor dich hin gesagt. und schon begann es wieder zu tröpfeln, weil du wusstest, diese lücke würdest du vielleicht nie, wenigstens aber sehr, sehr lange zeit nicht schließen können.


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schon zwei monate später raspeltest du dem anderen süßholzartig ins ohr:
"du wirst mich doch an meinem geburtstag nicht allein lassen?".
woraufhin er beteuerte, dass er dies natürlich keinesfalls und nie täte, und dich dann fragte, was du für ein geschenk wolltest.
"reizwäsche?"
du hast sogar durchs telefon hörbar mit den augen gerollt, geschnaubt und mitgeteilt, dass du "son zeug" genügend hättest.
nein, nein, du wolltest so ein technisches dingens, so ein verrücktes, das nicht jeder habe.

das wetter am abend deines geburtstages war großartig, verdeck-offen-wetter, halterlose-strümpfe-wetter, orange-roter-himmel-mit- ballons-dran-wetter.
während ihr in den sonnenuntergang gefahren seid, erzählte er, dass er einen streit vom zaune gebrochen habe (sich mit seiner frau zu streiten, sei so einfach) und dann türenknallend davon gegangen sei.

das kind im manne war wohl so stolz auf diese list, dass er vergaß, die form zu wahren, die da lautete: ich (er) bin ein getrennt lebender mann, der sich schon lange nicht mehr mit seiner frau versteht, aber des kindes wegen ("der kleine würde zerbrechen!") nach aussen die fassade hält. meine frau und ich sind uns in dieser sache einig.

er fuhr ein bisschen sehr lang und du fragtest, wie lange er das noch tun wolle. dort sei ein nettes hotel gewesen und da auch. und hier das sähe doch auch sehr hübsch aus.
nein, nein, meinte er. das wäre noch zu nahe. da könnte man noch bekannte treffen.

gelandet seid ihr schließlich in einem motel an einer autobahn-raststätte. was nun nicht unbedingt deine erste wahl gewesen wäre. dass er das zimmer vorab bezahlen musste, amüsierte dich. und natürlich hattest du "nach dieser langen fahrt" schrecklichen hunger, warst sogar letztlich erstaunt über das doch ganz ordentliche speisenangebot.
schließlich im zimmer angekommen, beklagtest du dich erst über den verschlampten motel-charme und verkündetest, dass deine kopfschmerzen inzwischen unerträglich seien. und sowieso hättest du dir deinen geburtstag anders vorgestellt, großartig und nicht so billig. verzweifelt hast du in der winzigen handtasche nach tabletten gekramt und schließlich verlangt, umgehend nach hause zu wollen.

verbissen und wortlos fuhr er dich heim. nur einmal fragte er, ob die tankstelle da - da wart ihr schon wieder bei dir im ort - auch geldkarten nähme. du hast bejaht, aber gleichzeitig nicht ohne häme darauf hingewiesen, dass man aber dann auf dem kontoauszug sähe, wo er getankt habe. da knallte er die schon offene tür wieder zu und meinte, er käme schon bis zu seinem kumpel (bei dem "gewesen" zu sein er sich schon stunden vorher vorgenommen hatte).


nach dem doch reichlich kühlen abschied vor deiner tür hast du, gemütlich auf deiner couch sitzend, sinniert, dass er sich die illusion eines freien, wohlhabenden mannes ein paar hunderter hat kosten lassen. wäre er ehrlich gewesen, hättest du es ihm ja gesagt, von anfang an, dass du dich nie mit einem verheirateten mann abgeben würdest.

Samstag, 22. März 2014

22032014

ich werde von wildem vogelgezwitscher und klopfen gegen meine fensterscheibe geweckt, schaue nach draussen und sehe es bindfäden regnen.

manchmal, denke ich, spielt das wetter der politik in die hand.
denn natürlich demonstriert es sich bei schönem wetter besser und der gute wille ist einfach gegenwärtiger, wenn die sonne scheint. bei gutem wetter entwickelt sich so eine friedliche demo zu so einer art volksfest, während diese bindfäden da einen - trotz regenkleidung - binnen kurzem vollkommen durchnässen und die plakate sowie anderes zubehör zerstören.

dabei ist und bleibt der gegenstand der sache es wohl wert: während allerhand alternativstrom-nutzer so stolz darauf sind, dass sie für ihren windstrom bewusst so viel zahlen, ist ihnen der trick gar nicht bewusst: natürlich kann ich leicht die eine sache teurer und die andere billiger machen, wenn die staatlichen subventionen so unterschiedlich gestreut sind. hier: es wird das vierfache der subventionen in herkömmliche energien (kohle-/atomstrom) gestopft und obendrauf noch eine lüge gepackt: herkömmlicher strom sei zur bedarfsdeckung nötig. was einfach nicht stimmt. die deutschen stromhersteller exportieren massenweise.
gar nicht zu reden von den folgekosten für die gesundheit, die sich aus der herstellung eben des stroms ergeben, von dem wir uns erklärtermaßen eigentlich abwenden wollten.

während mir diese dinge durch den kopf gehen, will mir scheinen, der regen wird ein bissel weniger und am horizont klart es auf.

https://www.campact.de/energiewende/demo/protestieren-sie-mit/

Donnerstag, 20. März 2014

20032014

erinnerst du dich?
wir hatten nie geld, aber trotzdem so viel spaß.

an jenem tag, der so einer war wie heute, früher sommer, meintest du, wir müssten uns ganz unbedingt eine deiner seligen kindheitsstätten anschauen.
gegen den geldmangel stellten wir uns nahe beim bahnhof in eine geschäftsstraße und verkauften die von mir entworfenen taschen, die grade in mode und in keinem laden zu kaufen waren. während ich, ein kind an der hand und eines im wagen, nach polizisten ausschau hielt, scharten sich die frauen um dich und rissen dir die taschen fast aus der hand. die letzte, so eine kleine, durchsichtige mit einem herzchen drauf hast du einem kleinen mädchen geschenkt, dass ganz sehnsüchtig schaute und sich gar nicht losreißen konnte.

hernach im zug packten wir den vorbereiteten proviant aus und zählten die nach kauf der fahrkarte verbliebene hand voll münzen.

du führtest uns zu dem kleintierzoo, der dich damals, an der hand deines großvaters, so begeistert hatte. und auch die kinder waren ganz bei der sache.
beim ruderbootverleih schauten sie ein wenig skeptisch, als wir den zusammen geklappten kinderwagen hinein wuchteten. doch es ging gut.

erst flussauf und dann, zu fuß, durch den wald bergauf, später auf einer wiese sitzend mit blick auf das tal, schien die zeit still zu stehen. die große immer den weg voran hüpfend, der kleine im wechsel zwischen sich erstaunt umschauend und gelegentlich einnicken, war alles friede und harmonie.

das letzte stück weg nach oben zur burg war dann doch etwas mühseliger als gedacht. der tag, noch immer heiss, machte uns durstig. aber von der hand voll geld waren nach zoo, bockwurst und ruderboot nurmehr zehn pfennig übrig; ein glas brause aber kostete 16 pfennig.
du hattest keine scheu, der kellnerin das problem vorzutragen. und sie brachte ein glas brause, ohne ein großes drama drum zu machen, das wir vier, von hand zu hand reichend, in kleinen schlucken leerten.

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hernach war ich nie wieder dort (so einen tag kann man ja doch nicht wiederholen.) bis mir vor drei jahren eine kur da angeboten wurde.

ich erkannte den ort kaum wieder und tastete mich in den vom wetter ebenso gesegneten tagen nur langsam an das damalige gefühl heran. zur burg fuhren wir diesmal mit dem auto und die kellner dort hatten das alter unserer kinder. die hätten wahrscheinlich ohne ausreichend geld gar nichts gebracht.
ich habe dir eine ansichtskarte geschickt, obwohl ich nicht sicher war, ob die adresse noch stimmt.

Freitag, 14. März 2014

14032014 ... oder: Die Fukuschima-Lüge

weil es mich so anstrengt, lese ich ja keine bücher mehr, sonder lasse mir vorlesen. folglich kaufe ich auch keine bücher. letzthin jedoch machte ich eine ausnahme, weil nicht damit zu rechnen ist, dass das erworbene stück dermaleinst als hörbuch erscheint.
es geht da um die größten journalistischen "geheimnisse". und da ich verschwörungstheorien liebe, musste dies buch natürlich mit.

wie sich heraus stellt, ist es mit den geheimnissen dann doch nicht so weit her. wäre ja auch zu einfach: da gibt es eine verabredung, etwas zu verschweigen, und plötzlich erscheint eine sammlung von diesen verabredungen als buch.
aber gut.

trotzdem finde ich die gedanken zu fukuschima ... na, sagen wir mal: interessant.

die these ist, fukuschima, und damit sei ja immer das kraftwerk gemeint, habe es "nicht gegeben". (natürlich zuckte ich da ein wenig zusammen.) hernach relativiert der autor: es habe ein seebeben gegeben und danach einen tsunami. ein seebeben der stärke 9,5; damit sei nicht zu rechnen gewesen. so etwas habe es seit beginn der beben-aufzeichnungen noch nicht gegeben. auch nach sehr, sehr langen betrachtungen könne kein mensch sagen, wie viele opfer dem beben, dem tsunami und letztlich dem kraftwerk zuzurechnen seien. gleichwohl hätten mehr oder weniger alle medien allsogleich die gesamtzahl der opfer dem kraftwerk zugeschrieben, was dazu geführt habe, dass sich ein weltweiter protest gegen atomkraftwerke gerichtet hat. insbesondere die deutschen grünen wären gerne auf diesen zug aufgesprungen.
aber, so der autor, fukuschima sei nicht tschernobyl.

wo er recht hat, hat er recht, denke ich mir. und vermutlich wäre die zahl der opfer auch ohne das kraftwerk fünfstellig gewesen. gleichwohl finde ich die herunterrechnerei der tatsächlichen strahlenschäden auf einstellige opferzahlen ,wenn möglicherweise auch richtig, schlechterdings kleinlich. und die erhebung der künftig in folge von fukuschima zu erwartenden zusätzlichen krebsfälle (die man ja auch nicht zweifelsfrei dem GAU zurechnen könne!) ist für mich geschmacklos.

hernach ist da nur noch von "psychoterror" in form von "panikmache" die rede, indem das weltweite publikum bewusst dem irrtum aufgesessen wäre, fukuschima war von menschen gemacht.

aber nein, wir erinnern uns: ein seebeben der stärke 9,5 könne schließlich keiner voraussehen.

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es gibt die wenigen momente im leben, kommt mir da in den sinn, in denen ich für "falsche" berichterstattung dankbar bin. zu sorglos gingen wir in all der zeit mit atomstrom um. und zu fern war tschernobyl, das ja in europa nie und nimmer hätte passieren können, weil der westen in allem so viel besser ist. und weil der autor eben nicht über das fehlen von endlagern und überhaupt alles spricht, was havarien in atomkraftwerken jederzeit anrichten können, empfehle ich denen, die es können, die demos zur rettung der energiewende am 22.März. (Düsseldorf, Hannover, Kiel, Mainz/Wiesbaden, München, Postsdam)

Montag, 3. März 2014

03032014 (Faschingsfreunde bitte weitergehen!)

anders als im letzten blog dachte ich neulich über das lesen nach, als ich eine randnotiz im FREITAG las, der zu folge wir neuzeitmenschen ein volk von schreibern, nicht jedoch lesern seien.
gleich hatte ich diese weibliche reklamestimme im ohr, die da mitteilte: „wir posten und twittern … alles ist ganz normal.“
wie normal jedoch ist es, wenn wir vor lauter eigener äusserungen keine zeit mehr haben, uns lesend über inhalte zu informieren, e h e wir eine meinung äussern?

nahezu umgehend bekam ich ein praktisches beispiel geliefert:
eine bekannte postete das bild eines hundes, der an einem strick hinter einem fahrzeug her geschleift wurde.
man kann sich ja seine eigenen gedanken darüber machen, wer so etwas fotografiert, statt etwas zu unternehmen.
man kann sich auch fragen, wie sinnvoll es ist, statt etwas zu unternehmen, so ein foto ins internet zu stellen mit der bitte, den fahrzeughalter (kfz-kennzeichen vergrößert auf dem foto angegeben) ausfindig und dingfest zu machen.
man kann aber auch einmal nachschauen, was das soll.
drei klicks vom eigentlich posting entfernt fand ich die übersetzung eines zeitungsartikels, in dem nicht nur dieses foto, sondern auch eines vom tierquäler in handschellen gezeigt wurde, der – wie ebenfalls zu lesen war – inzwischen rechtskräftig zu elf monaten haft auf bewährung (3 jahre) und einer zahlung von 500 euro strafe verurteilt wurde, was in bulgarien sicherlich eine menge geld ist.

im posting meiner bekannten jedoch war der eindruck geweckt worden, man wisse nicht, um wen es sich handelt und suche mit aller gemeinsamen kraft der internetgemeinde nach diesem schuft.
meine bekannte selbst zeigte sich ausnehmend betroffen.

betroffenheit geht uns heute ja allgemein sehr leicht über die lippen. alleweil sind wir über irgend etwas betroffen, was irgendwie bewirkt, dass wir uns gut fühlen, so als mensch, und uns im übrigen davon entbindet, sachliche inhalte in zusammenhänge zu setzen.

ich kann mich nicht erinnern, dass man früher, in meiner kindheit und jugend, betroffenheit so oft oder überhaupt im munde geführt hätte.
ich habe meine mutter drei mal über den tod fremder menschen weinen sehen ( Gerard Philipe, J.F.Kennedy, W.Brandt), aber da war sie nicht betroffen, sondern schlichtweg traurig.
ich erinnere lediglich lothar kusche, der in den siebziger jahren des letzten jahrhunderts einen aufsatz „über die kunst, jederzeit so betrübt zu sein“ verfasste. womit er freilich die entschuldigungsformel der engländer aufs korn nahm. die heute allgemeine betroffenheit kannte er noch nicht.
unsere allzeit bereite betroffenheit ist jedoch von ganz anderem kaliber. sie ist so hübsch bequem, weil wir uns keine mühe machen müssen. wir holen die betroffenheitsgesten (gerne auch gepaart mit bekundeter wut, die sich dann doch sehr schnell beruhigt) aus der tasche wie ein taschentuch und stecken sie nach vollbrachter bekundung genauso schnell auch wieder ein. pflicht ohne großen aufwand erfüllt.

eine geste, die wir eventuell von allerhand personen der öffentlichen wahrnehmung übernommen haben. die, so immerhin kann man ihnen zugute halten, nicht über jede gerade passierte sache bescheid wissen und sich eine meinung gebildet haben können und dennoch jederzeit damit rechnen müssen, dass man ihnen ein mikrophon vor die nase hält.
betroffen dagegen kann man immer sein.


inzwischen hat jeder passant auf der straße, der von den reportern in ermangelung von augenzeugen oder fachleuten angehalten wird, seine betroffenheit parat.
es scheint, als würden einen solche gesten davon entbinden, noch irgendwie mehr zu tun. mehr zu fühlen. zuzupacken. es scheint auch, als habe man sich darauf verständigt, dass in einer so vielfältigen, ohnehin mit worthülsen überpfropften welt, es ausreichend ist, betroffen zu sein, obwohl die meisten von den dingen, die solcherart betroffenheitsstürme auslösen, die betroffenheitsbekunder ja eben nicht betreffen, zumeist nicht einmal tangieren. was die bekundungen so einfach macht.

umso erstaunlicher ist, wie oft man in letzter zeit hört, dass menschen sich nicht interessieren, und gefragt wird, warum man sich um eine sache kümmere, die einen doch gar nicht betreffe. sollten nicht jedoch erkenntnisse über anderer menschen befindlichkeiten das tor zum mitgefühl öffnen?

als wir uns noch nicht im zeitalter der großen betroffenheit befanden, wagten wir gelegentlich, manchmal auch öfter, zuzugeben, dass wir „von dieser sache da“ keine ahnung haben, was uns, die wir ja nicht alles wissen konnten, von einer meinungsäusserung entband. man mochte uns für dumm, uninformiert oder desinteressiert halten, aber wenigstens waren wir ehrlich. denn wir lebten noch nicht im informationszeitalter, wo imgrunde jeder alles wissen kann, wenn er denn nur will und halbwegs verständig ist.


noch immer ist informationsbeschaffung eine mühe, der man sich unterziehen muss, egal, wie verfügbar die quellen sind. trotzdem mag keiner zugeben, dass er sich dieser mühe nicht unterziehen wollte oder konnte. was ja keine schande ist. jeder trifft seine wahl, denke ich mir dann. und jedenfalls ist es mir lieber, wenn einer zugibt, dass er sich mit einer sache nicht auskennt, als die vielen betroffenheitsheimer, die so gar nicht betroffen sind.

Samstag, 1. März 2014

01032014

zwar kann ich mich nicht erinnern, wann genau meine liebe zum lesen erwachte. aber ich weiss genau, dass das zu einer zeit war, zu der ich noch nicht lesen konnte. ich sah fünf große menschen um mich herum, die ständig bücher lasen und zuweilen über diese bücher sprachen. und wenn sie das taten, drüber sprechen, dann waren sie oft voller begeisterung und ganz bei der sache, dass mir bald klar wurde: mit diesen büchern musste es etwas ganz besonderes auf sich haben.
so, wie meine mutter veranlagt war, könnte ich mir vorstellen, dass sie etwas gesagt hat wie: „wenn du wissen willst, was da drin steht, musst du lesen lernen.“ ich erinnere sie nicht als vorleserin. ohnehin war sie nicht der große händchenhalter. sie hat nur, beinahe im vobeigehen oder auch nur mit dem fuß, türen aufgestoßen. durchgehen mussten wir dann selber.

gut erinnern kann ich mich jedoch an jenes erste buch, um dessentwillen ich zu lesen begann. ein bilderbuch natürlich. wunderschön blauer nachthimmel mit märchenhaften hausdächern drunter, einer mondsichel oben links wie neulich morgens und sternen drumherum.
tatsächlich lernte ich schnell lesen und machte sehr früh, in mutters begleitung, bekanntschaft mit der bibliothek, weil die – wenngleich zahlreichen – büchergeschenke zum geburtstag und zu weihnachten nicht mehr ausreichten. da schlich ich dann ehrfürchtig durch die reihen der kinderbuchabteilung und konnte es lange nicht fassen, dass ich diese schätze eine zeit lang haben durfte. und oft handelte ich mir schwerste diskussionen ein, weil der stapel, den ich der bibliothekarin zum mitnehmen vorlegte, viel zu groß war. „das schaffst du nie in vier wochen.“, hieß es oft.
auf diese weise erfuhr ich, nachdem mir die trompeterbücher zu dünn und zu kindisch geworden waren, von justus liebig, timbuktu und dem koran (eine zeit lang wollte ich unbedingt moslem werden) und einer menge anderer aufregender menschen und dinge auf dieser welt.

kein tag in meinem leben ist ohne buch vergangen. selbst an tagen, die keinerlei zeitliche reserven zum lesen hergaben, fand ich nicht ohne ein paar seiten gelesenes in den schlaf (was vielleicht erklärt, dass ich nie ein krimifan geworden bin.) die begeisterung ist geblieben und auch nach tausenden von büchern bin ich noch zu überraschen, was mir gut gefällt, denn eigentlich neige ich dazu, mich schnell zu langweilen.

vor ein paar jahren allerdings bekam ich große probleme mit den augen, was der leserei ganz und gar abträglich war. eine zeit lang versuchte ich es, musste jedoch regelmäßig vor den juckenden, tränenden augen kapitulieren. eine schlimme zeit, in der ich nur schwer in den schlaf kam, weil irgend etwas ganz wichtiges fehlte. bis ich schließlich auf hörbücher verfiel. seither lese ich nicht mehr, sondern lasse lesen. vorlesen. so hole ich, obwohl es den augen seit langem schon wieder besser geht, ein ganzes stück kindheit nach, indem ich abends einen – meist prominenten – vorleser in mein bett einlade, um in den schlaf gelesen zu werden. und einmal im monat ist MEIN HÖRBUCHTAG, auf den ich mich wie in kindheitstagen ganz narrisch freue. schon tage vorher schreite ich durch die virtuellen buchreihen und suche mir die fettesten (=längsten) wälzer aus, damit es bis zum nächsten besuch ausreicht.

ganz nebenher pflege ich mit dieser angewohnheit mein image als im alter merkwürdig werdender mensch. denn wenn zum beispiel max goldt mich ins bett begleitet, dann bleibt bei aller nachdenklichkeit kein auge trocken und ich lache schon mal herzhaft laut. was, fragen sich die nachbarn womöglich, gibt’s mitten in der nacht im schlafzimmer zu lachen, wenn frau allein lebt?

ich weiss es, die leser dieses blogs jetzt auch. und was die anderen denken … wen juckts?

Motto:

Meine Bilder kann man kaufen. Meine Texte und meine Meinung nicht. D-J

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